Reden, Lachen, Singen, Atmen
Ich habe mich schon immer gefragt, wie manche der Professoren und Dozenten für Gesangsunterricht und Gesangspädagogik der festen Meinung sind, dass die Sprechstimme und Singstimme immer die gleiche Klangqualität haben sollte. Ich war deshalb so neugierig, weil ich genau das so oft anders erlebt hatte. Ich kannte beispielsweise einen Koloratursopran, die eine sehr tiefe Sprechstimme hatte. Ich kannte auch Bass-Baritone, mehr als einen, die mit einer deutlich lyrischen Tenor- Sprechstimme kommunizierten. Ich selber rede (für die meisten Leute) deutlich wie ein Bariton, obwohl ich lyrischen Tenor gesungen habe. Reden hat natürlich viel Ähnlichkeit mit Singen, aber gleich ist es dennoch nicht und meiner Meinung nach ist es ein Fehler, Sänger zwingen zu wollen, in einer bestimmten Art zu sprechen, weil sie ein bestimmtes „Fach“ singen.
Reden und die Tonqualitäten der Sprechstimme hängen mit vielen anderen Faktoren zusammen als nur die Singstimme. Es gibt allerdings eine Art, die Stimme zu benutzen, die tatsächlich besser zum „Fach“ passt: nämlich das LACHEN. Lachen (je nachdem wie spontan es ist) kommt, funktional gesehen, sehr viel näher an das Singen heran. Zwerchfell, Bauchmuskel, Psoas, Beckenboden-Tonus ist dabei sehr viel ähnlicher zum Singen als zum Sprechen. Wenn z.B. oben erwähnter Koloratursopran mit der tiefen Sprechstimme lacht, dann muss man seine Ohren schützen, so hoch und tragfähig sind die Frequenzen und die Teiltonverstärkung. Der Bass-Bariton mit der lyrisch tenoralen Sprechstimme hatte ein dunkles, warmes, sehr grundtonreiches Lachen.
Ich kann mich gut an eine Produktion von La Bohème erinnern, wo ich als Rodolfo eine tiefere Sprechstimme hatte und unser Marcello eine ultra hohe, fast weibliche Sprechstimme hatte. Wir haben uns während der Probe sehr gern und sehr oft Witze erzählt und es dauerte nicht lange, bevor wir beide und bald der Rest der Besetzung auch feststellten, dass ich SEHR wie einen Tenor lache und Marcello wie ein donnerartiger Bariton. Lustig war natürlich, dass unser Sprechen genau umgekehrt war.
Lachen hat dabei auch Funktionen, die man deutlich für die Optimierung der Singstimme benutzen kann! Hier beim Gesangsunterricht Wiesbaden in meinem Studio Musa Vocalis, bauen wir Übungen ein, um herzhaftes Lachen im Gesangsunterricht zu nutzen. Alle GesangsStudenten wissen, dass stilisiertes Lachen in Liedern, Operette und Oper häufig vorkommt. Dieses in Stimmbildung spielerisch einzubauen, ist eine Frage von pädagogischer Kreativität. Nummer Eins für Stimmbildung Gesang ist immer Eigenwahrnehmung. Sänger, die zum Beispiel einen zaghaften, übervorsichtigen Stimmansatz haben, erleben durch das Lachen eine viel reflexartigere Art, eine Phrase zu beginnen. Eine Hand auf dem Bauchnabel, dem Solargeflecht oder auch im seitlichen Rippenbereich macht den Unterschied deutlich. Funktionale Stimmbildung gibt hier gute Prinzipien: erst wahrnehmen, dann vergleichen, dann das Neue Integrieren. Bei sehr talentierten Sängern braucht man oft nur eine Wiederholung dieser Prozedur und die neue Gewohnheit ist integriert. Gutes Singen ist dann genauso spontan wie gesundes Lachen.
Ich kenne Gesangslehrer, die ihre Studenten mit der besten Absicht dazu überreden, passend zu ihrem Stimmfach quasi künstlich zu sprechen. Das Resultat ist meiner Meinung nach eine sehr affektierte und unnatürliche Sprechstimme. Wenn es gut geht, ist es anders herrum. Die Singstimme ist genauso spontan und frei wie die Lachstimme oder die Sprechstimme.
In letzter Zeit gab es viele Artikel über den Gesundheitsnutzen des Singens. Der Stoffwechsel wird angeregt. Heilungskräfte werden in Gang gebracht. Das Immunsystem wird gestärkt. Es wirkt gegen Krebs und Herzleiden und Depressionen und so vieles mehr. Diejenigen, die Gesang studieren, selbst als Nicht-Profi, wissen, wie oft man glücklich und ausgeglichen aus dem Gesangsunterricht geht. Interessant ist für mich, dass all diese Beschreibungen über den Gesundheitsnutzen auch regelmäßigem Lachen zugeschrieben werden.
Die Gemeinsamkeit zwischen herzhaftem Lachen und herzhaftem Singen überträgt sich als Enthusiasmus und Lebenslust in die Sprechstimme. Jeder hat seine ganz bestimmte, funktionelle, sensorische und akustische Authentizität. Die gute Nachricht für Gesangslehrer und Stimm-Coaches ist, wir können aus dem Einen das Wesentliche in das Andere übertragen.