To Question or not to Question, that is the Question. Eine Kurze Untersuchung der Dialektik Im Gesangsunterricht

Evan Bortnick Wiesbaden

Jeder Gesangslehrer stellt Fragen während des Unterrichtens. Jeder Gesangslehrer gibt Anweisungen. Wo liegt Ihre eigene individuelle Betonung während Ihres Unterrichts? Auf welchen Prinzipien basiert diese Betonung und welche gesangspädagogischen Werte liegen hinter Ihren eigenen Prinzipien? Mit diesen Fragen werden wir uns in diesem kurzen Blog beschäftigen.

Platon führte in seinen „Dialogen“ Phaedrus durch eine Serie von gezielten Fragen zur Wahrheit. Auch in unserem modernen Gerichtssystem erkennen wir den Wert gezielter Fragen. Diese Fragen sind spezifisch auf etwas gerichtet, um, wie Platon es tat, die „Wahrheit“ ans Licht zu bringen. Obwohl wir als Lehrer im Gesangsunterricht nicht „Die Wahrheit“ auf der gleichen Bedeutungsebene wie Platon oder Gerichte das tun suchen, erkennen wir alle den Wert des WAHRnehmens. Es ist genau das, was wir in unseren Gesangsschülern anregen und motivieren wollen. Wir würden uns sicherlich an Platons „gnôti sauton“, „Kenne dich Selbst“ anschliessen. Für Sänger ganz allgemein und für klassische Gesangsschüler speziell spielt das Wahrnehmen eine bedeutende Rolle im Lernprozess. Warum ist das so?

„Aber sie seien gewarnt, auch zu glauben, dass unser Gebiet mit dem Verstand zu begreifen und zu erschöpfen wäre! Für uns ist der Verstand immer nur nachtastend, fast könnte man sagen: nachhinkend den Sinnes-, den Empfindungseindrücken, die durch Begriff und Logik doch nicht darzustellen, vor allem aber nicht zu ersetzen sind.“ Stimmfehler Stimmberatung Paul Lohmann

„The student must, therefore, study his instrument and determine its capabilities; he must analyse and memorize every sensation it gives primarily at the source (vocal cords), and secondly the resonance effects (pharyngeal adjustment), even as a good driver listens to the throb of his engine and is able to detect the slightest basic irregularity. The trained ear readily locates defect in cause…..he must know his instrument, its every basic sensation and final effect; constantly by feeling, ‘seeing’ and listening, he will in time be able promptly and accurately to diagnose any defect in cause, and apply the remedy.” The Science and Sensations of Vocal Tone—A School of Natural Vocal Mechanics E.H. Caesari (“Der Student muss sein Instrument studieren, um seine Fähigkeiten festzustellen; er muss in erster Linie jede Empfindung aus der Quelle (Stimmbänder) erkennen und sekundär die Resonanzeffekte (pharyngeale Anpassungen) auswendig lernen, wie ein guter Fahrer den Schall seines Motors spürt und hört und jede Unregelmäßigkeit wahrnimmt. Das ausgebildete Ohr stellt jedes unrunde Laufen sofort fest….er muss sein Instrument kennen, jedes seiner Basisempfindungen und Effekte….durch Spüren, ‚Sehen’ und Hinhören. Er wird mit der Zeit die Fähigkeit entwickeln, sofort und wirkungsvoll jede Miss-Balance zu erkennen und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. (Übersetzung Autor)

Wie es Lohmann und Caesari so treffend formuliert haben können Studenten und Studentinnen primär durch die Wahrnehmung den augenblicklichen Seins-Zustand verbessern. Das hat immer mit einem sensorischen oder auditiven Vergleich zu tun. Selbst wenn ein Lehrer ganz simpel sagt: „Falsch“, ist die Vorannahme des Lehrers dabei, dass der Student erkennen kann, was „Falsch“ bedeutet. Das heißt: irgendwo im Sensorium müßte ein „Richtig“ vorhanden sein. Ebenso geht man bei der allerseits beliebten „gesanglichen Demonstration“ von der Vorannahme aus, dass der Student den Unterschied hören kann. Auch das hat mit einem Vergleich zu tun.

Wenn Verbesserungen in Lernprozessen durch einen Vergleich verstärkt werden, wie können wir Gesangslehrer diesen Prozess dann unterstützen? Eine komplexe Frage und sie ist nicht leicht zu beantworten. Auf jeden Fall ist dieser innere auditiv-sensorische Vergleichsprozess von Student zu Student verschieden. Mit anderen Worten: jeder Schüler macht dabei etwas anderes. Logischerweise ändert sich auch unsere Ansprache von Student zu Student. Selbst die hartgesottensten, prozeduralsten „Methodiker“ unter uns (und ich habe sehr viele, sehr erfolgreiche dieser Brandmarke erlebt) geben zu, dass sie ihren Unterrichtsstil von Student zu Student verändern. Unter anderem ist das immer eine Entscheidung zwischen „Frage“ oder „Anweisung“ im gegebenen pädagogischen Moment. Anweisungen sind auf jeden Fall der kürzere Weg. Darin liegt ihr Reiz. Sie sind Komplexitätsverminderer. Und bei einem solch komplexen Verfahren wie dem Singen ist man für jeden Komplexitätsverminderer dankbar. Wann funktionieren Anweisungen nicht optimal? 1. Wenn der Student die Anweisung nicht versteht und, 2. wenn die Dimensionalität der Suche des Schülers eine andere ist als die Intention der Anweisung.

Zum ersten Beispiel. Wie Alfred Korzibski es in seiner Arbeit der Generalsemantik sagte: „The Map is not the Territory“. Zu Deutsch: „Die Landkarte ist nicht die Landschaft“. Worte sind Landkarten. Das Tückische ist, dass sich die Landschaften deutlich unterscheiden zwischen Lehrer und Schüler.

…..to understand a sentence we must know much more than the analysis of this sentence on each linguistic level. We must also know the reference and meaning of the morphemes or words of which it is composed…” Noam Chomsky “Syntactic Structures” (…um einen Satz adäquat zu verstehen, müssen wir mehr als nur die Analyse des Satzes auf linguistischer Ebene verstehen. Wir müssen auch die Referenz und Bedeutung der Morphème oder Worte verstehen aus welchen der Satz komponiert wird… (Übersetzung und Unterstreichung vom Autor)

Also, wenn wir „Zwerchfell“ in einer Anweisung erwähnen und das Modell und Verständnis des Schülers dieser wichtigen Struktur nicht adäquat ist, können wir nicht erwarten, dass schnelle und effektvolle Resultate durch die Anweisung erzielt werden können. Das ist ein einfaches Beispiel, weil es das Zwerchfell tatsächlich gibt. Es ist eine anatomische Struktur mit motorischen und sensorischen Nervenverbindungen. Wie viel schwieriger ist es dann, etwas anzusprechen, was es gar nicht wirklich gibt, wie beispielsweise: „Register“. Register ist eine sehr brauchbare sprachliche Metapher, wie „Sonnenuntergang“, „Flussbett“, „Unterbewusstsein“, „Nasenflügel“, „Vordersitz“ „Wolkenbruch“ und endlos viele andere. „Register“ stammt aus der Orgelwelt, wo es tatsächlich eine „Dinglichkeit“ hat. Bei uns Sängern jedoch nicht. Wie jede überzeugende Metapher hat es seine Grenzen. Wie jeder Metapher hat es seinen Verständigungsbereich. Können wir aber davon ausgehen, dass jeder Student uns sofort versteht wenn wir den brauchbaren Begriff benutzen? Das möchte ich mit Nachdruck bezweifeln. Also, Mangel an Verständnis ist eine gravierende Limitierung bei der Anweisung. Ich brauche nicht zu betonen, dass unser Wunsch nach Komplexitätsverminderung nicht in Erfüllung geht, wenn dieses Verständnis nicht vorhanden ist. Ganz im Gegenteil. Manchmal jagen wir jahrelang Hasen, (in Form von Missverständnissen) die wir selbst im pädagogischen Wald freigesetzt haben mit der Hoffnung, eine Komplexitätsreduktion zu erlangen. Kaum weniger komplex! Dies wird hier von Frederick Husler und Yvonne Rodd-Marling aus dem Buch Singen in aller deutlichkeit beschrieben:

Neuerdings herrscht vielfach die Ansicht vor, man dürfe die „Register“ nicht getrennt üben, man verursache damit das, was man eine „Registerdivergenz“ nennt, worunter folgendes zu verstehen ist:: „ein krankhaftes Getrenntsein der Register, die nicht mehr zusammen zu mischen sind“.

Der zweite Punkt hat mit der Vielfältigkeit der Suche des Studenten zu tun. Wenn wir eine eindimensionale Anweisung in ein dreidimensionales Verständnisschema geben, wird die Anweisung entweder nicht gefolgt oder multidimensional interpretiert, was eigentlich das Gleiche ist. Ein einfaches Beispiel: „Atme tiefer ein“. Das Resultat ist, dass der Student nun weniger Brustkorbbewegung macht. Es ist schlichtweg erstaunlich, wie oft das im Gesangsunterricht und Meisterklassen passiert. In diesem Fall meint der Lehrer etwas ganz spezifisches, was auf einer völlig anderen Komplexitätsebene verstanden wird.

Das hören wir auch ständig im umgekehrten Fall durch das scheinbar allerseits beliebte Wort „Locker“. Wenn ein erfahrener Lehrer das Wort benutzt, meint er meistens so etwas wie: „während du das adäquateste Minimum an flexibler Körperspannung spürst, erlebe die Stabilität in den stimmlichen Kernstrukturen und lass die Periphäriemuskulatur in die Erdanziehungskraft fallen damit der Grundton, der zweite Formant und vor allem der Sängerformant, seine Verstärkung durch trachealen Zug, Vokaltraktrundung und Weichgaumenhebung ohne Hilfsspannung bekommen kann“. Der Student versteht: „Sei überall ganz schlapp“.

„Das Einführen des Anfängers in diese eigentümliche innere Welt des Gesanges kann nur geschehen, wenn jede noch so unscheinbare Übung von vornherein mitten in diese innere Welt zielt und mündet. Niemals darf der Anfänger mit bloßen stofflichen Einzelforderungen, niemals auch mit bloßen Erklärungen und Begriffen an das Singen herangeführt werden.“ Ausbildung der Gesangsstimme-- Martienßen-Lohmann

Fragen stellen hat auch deutliche Nachteile und Vorteile. Fragen zu stellen dauert erstmal länger. Fragen zu stellen bedeutet für den Studenten auch häufig eine Art Prüfung. Er fühlt sich unter Druck gesetzt, „richtige“ Antworten zu produzieren. Oft interpretiert ein anfänglicher oder unreifer Student Fragen als Unsicherheit des Lehrers. Das stellt dann natürlich lehrerische Kompetenz in Frage was negativ auf den pädagogischen Prozess wirkt. Niemand würde aber im Traum daran denken, einen Rechtsanwalt als inkompetent zu betrachten, nur weil er im Gerichtssaal eine Frage stellt! Was sind dann die Vorteile?

„Das Fragen wirkt wie ein neurologischer Scheinwerfer, der Zusammenhänge zwischen Daten, Fakten, Ereignissen etc. herstellt, die vorher möglicherweise nicht bestanden haben. In diesem Sinne entsteht bei der Befragung etwas Neues, es wird etwas installiert. Jede Frage führt zu einer kontextbedingten Neuorganisation des betreffenden ‚Informationsbestandes’….jede Frage fokussiert die Aufmerksamkeit des Zuhörers in eine bestimmte Richtung und verändert insofern den momentanen Bewußtseinszustand.“ Die Magie des Fragens, Grochowiak, Heiligtag

Im Grunde genommen lösen geschickt formulierte Fragen einen transderivationalen Suchprozess im Studenten aus. D.h., er geht durch auditive, kinästhetische und visuelle Modalitäten, um seinen Seinszustand wahrzunehmen. Die Verbindungen durch Synapsen zwischen den Gehirnhälften, die dieser Suchprozess auslöst, fördern die Verankerungen von positiven Gewohnheiten bereits bevor der Student überhaupt eine Antwort parat hat. Gekoppelt mit einem expliziten Vergleich werden diese Gewohnheiten als sensorische und auditive Referenzerfahrungen integriert. Das befähigt den Studenten, diese Klänge und Empfindungen wiederholt zu finden, was natürlich unser pädagogisches Ziel ist. Wir wollen regelrecht, dass diese Gewohnheiten quasi auf „Autopilot“ abrufbar sind. Wie wir wissen gibt es nichts Langweiligeres als einen Bühnensänger, der in erster Linie mit seiner Technik beschäftigt ist. Dafür zahlt das Publikum nicht! Also: die Integration positiver, „instink“-mässiger, sängerischer Gewohnheiten ist von primärer Wichtigkeit.

Was ist der Unterschied zwischen geschlossenen und offenen Fragen? Um es ganz kurz zu beschreiben: geschlossene Fragen kann man möglicherweise mit „ja“ oder „nein“ beantworten. Die Fragen, die etwas anderes zulassen, sind offen.

Beispiele von geschlossenen Fragen:

„Kannst du die Bauchmuskalaturbewegung beim Einatmen spüren?“

„Hebt sich dein Kehlkopf beim hohen Ton?“

„Erlebst du Resonanz im Frontalknochen beim Vokal „U“?“

„Gibt es eine Streckung in der Lumbarwirbelsäule beim Einsatz?“

Diese Fragen kann man alle mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten. Obwohl solche Fragen (meistens für Bestätigung) von Wert sind, lösen sie erfahrungsgemäss weniger die obengenannte transderivationale Suche aus.

Beispiele von offenen Fragen:

„Was sind die Bewegungen, die du im Brustkorb erlebst, während du einatmest?“

„Wie genau ist dein Gewicht beim Toneinsatz auf die Füße verteilt?“

„Wo erlebst du Stabilität bei diesem hohen Ton?“

„Wie kannst du noch mehr Resonanz im Maskenbereich genießen?“

Der Vorteil ist einfach. Damit der Student die Frage muttersprachlich versteht, kann er nicht anders, als auf eine Suche zu gehen. Um die Worte zu verstehen ist es schlicht und einfach nötig, die Referenz im Sensorium zu suchen. Das ist vom großen pädagogischen Wert. WAHRnehmen ist, auf einer Ebene betrachtet, die Suche nach sensorischer Wahrheit. Diese Suche ermöglicht es uns, authentisch von in-authentisch im eigenen Klang zu differenzieren. Diese Prozesse des Suchens und des Findens werden von Studenten mit Lust einverleibt. Das gibt ihnen die Eigenreferenz, die für eine stabile und erfolgreiche Karriere so notwendig ist.

Nachdem Fragen gestellt werden und die Wahrnehmungen gesucht, gefunden und integriert sind, sind Anweisungen denkbar einfach und präzise. Semantische Reaktion und Verständnis ist schneller und effizienter. Jeder Lehrer, wie gesagt, sucht sein eigenes Gemisch aus Fragen und Anweisungen. Zum Schluss würde ich gerne am Beispiel eine Möglichkeit zeigen, wie das eine zum anderen führen kann.

Lehrer: „wenn du zwei Hände auf die untere Bauchmuskulatur legst, wie erlebst du die Bewegung während der Einatmung?“

Student: „es gibt eine leichte Bewegung nach außen und dann eine schnelle, starke Bewegung nach innen.“

Lehrer: „folge dieser Bewegung weiter mit deinen Händen und singe jetzt zweimal die gleiche Übung. Zunächst wie gehabt und dann mit einem Bein auf dem Stuhl.“

Student: (singt zweimal)

Lehrer: „was ist der Unterschied“

Student: „das zweite Mal ist viel mehr Bauchbewegung zu spüren und es bleibt länger in dieser Fülle.“

Lehrer: „und der Klang?“

Student: „deutlich voller und lauter. Gefällt mir!“

Lehrer: „mach es noch einmal und erzähl mir aus deiner Empfindung dann warum dass alles so ist.“

Student: (singt zweimal) „na, irgendetwas bewegt sich im Bauchraum anders“

Lehrer: „genau…wenn sich das Zwerchfell bei der Einatmung senkt, erzeugt es einen Unterdruck in der Lunge. So kommt Luft rein. Dabei erzeugt es gleichzeitig einen Überdruck im unterliegenden Bauchraum, deutlich zu spüren. Also, je mehr die Bauchmuskulatur bereit ist, diesen Überdruck auszugleichen, desto effizienter kann das Zwerchfell fallen. Mehr Zwerchfellsenkung heißt, mehr trachealer Zug. Mehr trachealer Zug heißt, ein tieferer Kehlkopf. Ein tieferer Kehlkopf heißt, mehr Raum im Vokaltrakt, unserem Hauptresonator. Mehr Raum im Resonator heißt, mehr Teiltonverstärkung. Mehr Teiltonverstärkung heißt, ein vollerer und freierer Klang. Gefällt mir auch! Jetzt mach es noch einma,l nur umgekehrt, erst mit Bein auf dem Stuhl und dann ohne. Wenn du es das zweite Mal machst, erzeuge genau den gleichen Klang und die gleiche Empfindung in den Händen.“

Student: (singt jetzt zweimal in umgekehrter Reihenfolge)

Lehrer: „ist es dir gelungen?“

Student: „ja“

Lehrer: „wie hast du anders eingeatmet beim zweiten Mal?“

Student: „na, das Gefühl für Atem war viel tiefer. Ist es das was man mit ‚atme in den Bauch meint?’“

Lehrer: „Oh, ja…genau das ist gemeint. Es ist die Empfindung, dass viel Energie in den unteren Bereich geht. Spür es noch einmal mit einer Hand auf dem Bauch und einer hier auf dem Sternum.“

Student: (singt mit einer Hand auf dem Bauch und einer auf dem Brustbein)

Lehrer: „was passiert mit der oberen Hand?“

Student: „sie bewegt sich minimal nach innen wenn ich singe. Obwohl es deutlich gehoben ist, ist es, als ob es sich an etwas anlehnt.“

Lehrer: „interessant, nicht wahr? In der alten bel-canto Schule nannten sie das „Appoggiare in Petto“. Das bedeutet „Anlehnen an der Brust“ und jetzt weißt du genau wie sich das anfühlt und auch warum. Mach es noch einmal.“

Student: (singt)

Lehrer: „Noch einmal mit mehr „Appoggiare“

Student: (singt noch einmal höher und noch schöner)

Lehrer: „Erlaub es, dieser„Appoggiare“ Empfindung, noch intensiver zu sein

Student: (singt noch einmal mit deutlich mehr Obertonverstärkung)

Läuft es immer so schnell und direkt? Nein. Nicht immer. Aber immer öfter! Je transparenter die Fragestellung, desto schneller kommt man zu verständliches Anweisungen, wie „noch einmal mit mehr ‚Appoggiare’“. Wenn ich gleich mit einer Beschreibung der klassischen „Appoggiare“ kommen würde, würde die Integration deutlich länger dauern, gerade weil ich eine Kurzformel benutze, die der Student in keiner Weise wirklich versteht. Mit Fragen lass ich ihn die Empfindung zuerst beschreiben und dann gebe ich ihr einen Namen. Deutlich effizienter.

Vielleicht identifizieren Sie sich eher mit dem authoritär-pädagogischen, Anweisung-gebenden Lehrstil. Oder vielleicht sind Sie in Ihrer Lehrer-Identifikation eher fragend. Egal in welche Richtung Sie persönlich tendieren, die Mischung zwischen gezielten Fragen und verständlichen Anweisungen tragen im Gesangsunterricht reife Früchte. So unterschiedlich wie unsere Lehrstil, Methodik oder System sein mag sind wir sicher alle einig, dass die Einverleibung starker, sensorisch- und gefühlsbetonte Sängergewohnheiten in unseren Studenten ein Ziel ist.

“Singen: körpersinnliches Erwachen im Lebensgefühl – Umwälzung im Bewusstsein – Mitschwingen im tiefsten Seinsgrunde…animalischer Wohligkeit zugleich mit der Lust am Klanglich-Geistigen….Aber niemals darf ein erreichtes Stadium stimmlicher Beherrschung etwa gegen den Verlust der Körperverbundenheit und Körperfreudigkeit eingetauscht werden.” Der Wissende Sänger – Martienßen-Lohmann

Fragestellung ist eine Art Prozessbegleitung. Man zeigt mit wohlformulierten Fragen eine Bereitschaft, den Studenten in seinem Lernprozess nicht nur zu begleiten, sondern auch zu führen. Lehrer mit viel Bühnenerfahrung kennen ganz genau die richtigen, sängerischen Empfindungen. Im pädagogischen Modell wird oft gesagt: „Hol den Student da ab, wo er ist.“ Also, um ihn da abzuholen, ist es nötig, den Zugang des Studenten zu seiner eigenen Wahrnehmung zu stärken. Ich hoffe ich habe überzeugend wenn kurz dargestellt, wie Fragen genau das tun kann.

Evan Bortnick Wiesbaden